Leni Riefenstahl

"Ich brauche weiches Licht"

 

„Pures Kino“ sei der in den Himmel fliegende Turmspringer in Leni Riefenstahls Olympia-Film, schwärmt das Olympische Museum in Lausanne. Frivol aufgeladenes Spielmaterial für die eigenen Konzert-Events sahen David Bowie und Mick Jagger in Leni Riefenstahls Parteitags-Film Triumph des Willens. Auch Quentin Tarantino bediente sich in Inglorious Basterds bei den soldatischen Männlichkeitsstereotypen ihrer Filme. So irritierend der Befund auch sein mag: Die faszinativen Seiten ihrer filmischen und fotografischen Bilderwelten sind wie das Image der Schauspielerin und Regisseurin in die Zirkulation der Pop-Kultur eingegangen.

 

Auch die Vorläufer ihrer Regie-Karriere sind nicht vergessen. Porträts des jungen Filmstars mit dunklem Silberblick, Aufnahmen der modisch gekleideten, von ihrem Team umringten Regisseurin und Bilder der späteren Afrika-Fahrerin und Tieftaucherin sind immer auch in die Ausstellungen ihres Werks integriert. Leni Riefenstahl wollte als schöne Frau, als Künstlerin und Extremsportlerin geliebt werden, die Kritik am propagandistischen Gewicht ihrer Ausnahme-Stellung in den zwölf Jahren des NS-Regimes und mehr noch am Menschenbild ihrer Werke wies sie vehement zurück.

 

Dennoch mangelte es der 1902 in Berlin geborenen Schauspielerin, Regisseurin, Produzentin und Fotografin am Ende ihres Lebens nicht an Hommagen. 1993 widmete der Filmemacher Ray Müller ihr eine zweiteilige Dokumentation, Die Macht der Bilder, in der sie ihre Perspektive auf die Geschichte ausführlich darstellen konnte. Und als 1997 die restaurierte Fassung des Stummfilms Die weiße Hölle vom Piz Palü aufgeführt wurde, feierte das Publikum die 95-jährige für ihre Darstellung einer von Eislawinen und blockiertem Begehren gequälten Bergprinzessin.

 

„Leni“ Helene Bertha Amalie Riefenstahl wurde 1902 als Tochter eines aufstrebenden Installateur-Meisters in Berlin geboren. Der strenge Vater erzog die Tochter und den jüngeren Sohn nach patriachalischen Prinzipien, die kunstsinnige Mutter träumte dagegen, die burschikose Leni möge sich zu einer Leinwand-Schönheit entwickeln. Zunächst eher am Rollschuhfahren, Tennis, Schwimmen und Boxen interessiert, setzte sich die Sechzehnjährige in den Kopf, Tänzerin zu werden und verfolgte dieses Ziel mit eisernem Willen.

Nach der mittleren Reife im väterlichen Betrieb ausgebildet, begann sie 1923 mit der Tournee-Routine einer Tanzelevin. Als ein Unfall die Karriere vorzeitig beendete, suchte sie 1924 den Kontakt zu Arnold Fanck, einem Pionier des Bergfilmgenres, den sie bewunderte. Fanck schrieb ihr nicht nur die Rolle einer „Frau zwischen zwei Männern“ auf den Leib, sondern führte sie bei den Dreharbeiten zu dem Melodram Der heilige Berg auch in das praktische Filmhandwerk ein.

 

1932 entstand Das blaue Licht, ihre erste Regie-Arbeit, ein in Südtirol gedrehtes Märchen um die schöne Außenseiterin und Kletterhexe Junta, die um ihre in einer Berghöhle gehüteten magischen Bergkristalle betrogen wird. Dieses Symbol einer verfemten Unschuld, das sie in Das blaue Licht selbst verkörperte, wurde zum Leitmotiv ihres Selbstverständnisses. Leni Riefenstahl wich bis zu ihrem Tod nicht von der Vorstellung ab, als unpolitische Künstlerin nur ihrer prinzipiellen Suche nach Schönheit verpflichtet zu sein.

 

Drei Parteitage der NSDAP dokumentierte Leni Riefenstahl, davon Triumph des Willens (1935) mit dem größten technischen Aufwand. In Form einer Monumentalinszenierung wird das „Erwachen“ der Stadt simuliert, Hitlers Flugzeug schwebt aus den Wolken zu den jubelnden Massen herab, es folgen endlose Paraden, Prozessionen und Zeremonien kultischer Huldigung. Die mystische Kommunion des „Führers“ mit den gedrillten anonymen Gefolgsleuten wirkt durch Panoramaperspektiven und Fahrtaufnahmen wie eine sakrale Handlung. Bis heute stehen die Parteitagsfilme unter Vorbehalt, ihre Vorführung ist nur mit einer Einführung erlaubt.

 

Leni Riefenstahl war auf dem Höhepunkt ihrer Karriere im Schatten des Regimes angekommen, als sie ab 1936 in zwei noch aufwändigeren Filmen die Olympischen Spiele in Berlin re-inszenierte. Ein Stab von 170 Mitarbeitern stand ihr zur Verfügung, darunter 40 Kameraleute, speziell entwickelte Optiken und Kameras. Die neuen Techniken, die Leni Riefenstahl bei den Dreharbeiten eingesetzt hatte, lieferten Bilder, die Sportler aus unmittelbarer Nähe zeigen: den Moment der Konzentration, Körperausdruck, Abläufe von Übungen, die Technik der jeweiligen Sportarten. Die künstlerische Gestaltung wollte das Nähe-Erlebnis von seiner banalen Unmittelbarkeit befreien. In vielen Wettbewerben zeigt Leni Riefenstahl deshalb einzelne Sportler in Zeitlupe, oder sie schneidet mehrere Übungen ineinander, so daß der Eindruck einer rhythmischen Komposition scheinbar schwereloser Körper entsteht - die berühmtesten Beispiele dafür sind die Flüge von Stabhochspringern und Turmspringern.

In einer fast dreijährigen Produktionszeit, aus 400 000 m Filmmaterial, entstanden die Filme "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit". Nach der Premiere am 20. April 1938, Hitlers Geburtstag, sahen Millionen Zuschauer in Deutschland und in 19 europäischen Ländern Leni Riefenstahls Kinoereignis. Die Filme trugen ihr die künstlerische Wertschätzung u.a. ihrer Kollegen Jean Cocteau und Vittorio de Sica ein, das TIME-Magazin zählt Leni Riefenstahls Olympia-Werke immer noch zu den "100 besten Filmen aller Zeiten".

 

Die Adaption der Oper Tiefland von Eugène d’Albert, wieder ein Melodram über eine Frau zwischen zwei Männern, war eine unter Kriegsbedingungen erschwerte Studioproduktion, an der Leni Riefenstahl als Regisseurin und Schauspielerin scheiterte. Erst 1953 erhielt sie das von französischen Alliierten konfiszierte Material zurück und montierte den Film. Ihre Abwehr, Verantwortung für ihre Nähe und ihre exponierte Stellung im NS-Regime zu übernehmen, blieb heftig, „das letzte innere Fenster zu ihren Abgründen“ (Ray Müller) hielt sie eisern verschlossen. In Interviews und nicht zuletzt in ihren Memoiren blendete sie Fakten und Vorstellungen übereinander und hielt unverbrüchlich an ihrem Selbstbild als Opfer von Intrigen gegen ihre Kunst fest.

 

Anders als viele Regisseure des NS-Kinos konnte Leni Riefenstahl im Kino der 1950er Jahre nicht mehr Fuß fassen. Mehrere Projekte zerschlugen sich, darunter ein Spielfilm über in Ostafrika gefangene und auf die arabische Halbinsel deportierte Sklaven. 1956 reiste sie für diesen Film zum ersten Mal nach Afrika, musste das Vorhaben aber am Ende begraben.

Eine Bild des Magnum-Fotografen George Rodger besiegelte jedoch ihren Entschluss, in die Nuba-Berge im Sudan zu reisen und einen Film über die dort noch unberührt von der Zivilisation lebenden afrikanischen Stämme zu drehen. Rodger hatte 1948 dort junge, fern von der Dorfgemeinschaft lebende Männer bei ihren Ringkämpfen fotografiert. Das Filmmaterial wurde beschädigt, aber die Dias und Fotografien, die sie von ihren insgesamt neun Expeditionen - einige davon allein auf sich selbst gestellt, andere im Schlepptau von Ethnologen oder mit ihrem Kameramann und späteren Lebensgefährten Horst Kettner – mitbrachte, begründeten eine neue Karriere.

 

1966 veröffentlichte sie die ersten Bilder in Illustrierten. Sie wurde an die Harvard Universität eingeladen und publizierte in der Zeitschrift der National Geographic Society. 1973 entstand das Buch Die Nuba - Menschen wie von einem anderen Stern, zwei Jahre später ein weiterer Bildband Die Nuba von Kau. In den USA entstand eine Welle der Aufmerksamkeit, bald noch durch eine neue Herausforderung gesteigert: In ihrem achten Lebensjahrzehnt begann Leni Riefenstahl mit dem Tauchsport und der Unterwasser-Fotografie.

Die Medienöffentlichkeit konstatierte, dass die u. a. durch eine scharf kritisierende Rezension des ersten Nuba-Buches durch die Publizistin Susan Sonntag in der BRD heftig geführten  Debatten um Leni Riefenstahls Beitrag zur NS-Propaganda und –Bildpolitik bei der nachwachsenden Generation zugunsten einer offeneren Neugierde und gelasseneren Wahrnehmung wichen. Die deutsch-deutsche Wiedervereinigung trug ihren Teil dazu bei. War die Regisseurin und Fotografin in der DDR kein Thema gewesen, stieg nach deren Ende das Interesse an ihren fremden Bildern.

 

Dennoch bleiben Faszination und Anstößigkeit unauflöslich. In ihrer romantischen Reisebeschreibung im ersten Nuba-Bildband beschreibt Leni Riefenstahl die Masaki-Nuba, bei deren Dorf sie Monate unter einem Baum lebte, als Inkarnationen des edlen Wilden, Inbegriffe perfekter nackter Körper, ohne die eigenen, erotisch aufgeladenen, kolonialistisch geprägten Projektionen zu erkennen. War die Erregung über ihre scheinbare Naivität bei Erscheinen des Buches groß, kann man sich heute direkter ihren Bildern aussetzen und die Nähe zu den Objekten ihrer fotografischen Begierde ausloten. 

Es fällt auf, dass Leni Riefenstahl die Masaki-Nuba ihrer frühen Reisen in ihrer Lebenswirklichkeit abbildet, so beispielsweise einen Mann in seiner Hütte neben der Wandöffnung zur Kornkammer oder ein Mädchen mit einer Leier. Zeigt sie in frühen Zyklen die Gemeinschaft unverheirateter junger Männer und ihre Körperbemalungen (leider ohne ethnologisches Interesse an der animistischen Vorstellungswelt, die sich dahinter verbirgt), konzentriert sie sich allmählich mehr auf dekorative Porträts mit vollendeten Gesichtsornamenten.

Der Bildband Die Nuba von Kau entstand im Gegensatz zur gelassenen Beobachtung im ersten Buch in nur wenigen Wochen. Viel Technik wurde eingesetzt, künstliches Licht inklusive. Die jungen Mädchen und Männer bleiben anonymer, die sexuelle Ausstrahlung ihrer Gruppentänze wirkt aggressiver. Wieviel ursprüngliche Naturhaftigkeit ist in diesen Szenen enthalten, wie viel mediale Inszenierung ?

 

 

Claudia Lenssen

Filmhistorikerin

 

 

Ein Nachtrag zur Wirklichkeit der letzten verbliebenen Nuba heute: Die Berge von Korofan, in denen Leni Riefenstahl fotografierte, sind seit den 1980er Jahren ein Bürgerkriegsgebiet, das heute die Grenzregion zum autonom gewordenen ölreichen Südsudan bildet und von einer Öl-Pipeline durchzogen wird. Omar al Bashir, der islamistische Diktator des Sudan, betrachtet die nicht-muslimischen Nuba als „Insekten", setzt ihre Bauerndörfer von Flugzeugen aus in Brand und schickt kriegerische, arabisch-stämmige Viehhirten in ihre Gebiete, um ihnen ihr Land streitig zu machen. Kleine Kameras werden durch eine slowenische Hilfsorganisation an die Familien verteilt, damit die Flüchtenden selbst, so gut es geht, den Genozid dokumentieren und über das Internet veröffentlichen können.

50 Jahre nach Leni Riefenstahl sind Kameras in Händen der Nuba ein Überlebensmittel.